Erleuchtung – Wege der Erkenntnis  (Heureka)

Lore Bert in der Kirche San Samuele/ Von Marianne Hoffmann


Lore Bert ist eine Künstlerin, die die 80 schon überschritten hat, was man ihr weder ansieht noch im Gespräch anmerkt. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Galerie Dorothea van der Koelen die Künstlerin nicht alleine in ihrer Galerie in Venedig präsentiert, sondern sich die Kirche San Samuele, die quasi neben dem Palazzo Grassi liegt, als Ausstellungsort gesichert hat. Unter demTitel „Illuminazione (Erleuchtung). – Wege der Erkenntnis (Heureka)“ zeigt Lore Bert eine 4,32m hohe Skulptur in einem zehn mal vier geometrisch gestalteten Feld. 

Abertausende leicht gefaltete, blütenweiße Papiere umgeben die Lichtinstalltion, die aus einem besonderen Glas gebaut wurde. Dieses sogenannte dichroitische Glas ist ein Phänomen an sich, denn es kann in allen Farben des Regenbogens schimmern, und man weiß nicht, woher das kommt. Dichroitisches Glas, auch unter dem Namen Farbeffektglas bekannt, verändert durch Beleuchtung, Sonne, Wolken oder durch den Betrachtungswinkel seine Farbe. Als dichroitisch werden Filter bezeichnet, die bestimmte Wellenbereiche durchlassen und die anderen reflektieren. Die Kirche San Samuele, die in der Diözöse des Patriarchats von Venedig liegt und eine eigene Anlegestelle hat, befindet sich  in direkter Nachbarschaft zum Palazzo Grassi. 

Die Kirche wurde im Jahre 1000 gegründet und dem heiligen Samuel gewidmet, der als „der Erleuchtete“ gilt. Der mit Bedacht gewählte Ausstellungstitel kommt also nicht von ungefähr, sondern huldigt dem Ort, dem Haus des San Samuele. Im rechten Seitenflügel ist die Installation aufgebaut, die dem Betrachter je nach Standort eine andere Lichterscheinung gewährt. Das dichroitische Glas, so könnte man glauben, komme aus Venedig, denn Venedig und Glas gehören genauso zusammen wie Venedig und die Rialtobrücke oder die Vaporetti, die Wasserbusse. Nein, Lore Bert hat das Glas in der Nähe von Mainz anfertigen lassen. Sie verbindet so ihre Heimat Mainz mit ihrer zweiten Heimat Venedig. Doch wer weiß, vielleicht wird es in Venedig bald dichroitisches Glas geben. Das Zusammenspiel der gläsernen Stelen mit dem Meer aus weißem Papier, ist ein in sich schlüssiges Konzept, das Venedig in der zeitgenössischen Kunst spiegelt. Die Reflexionen des offenen Wassers, das Venedig umgibt, scheinen in den Kirchenraum geflossen zu sein. Das papierene Meer steigert die wechselnde Farbigkeit des Glases in eine höhere Sphäre. Und der Begriff Erleuchtung, den man sowohl aus dem täglichen Sprachgebrauch als auch aus der Religion kennt, erfährt durch diese Installation eine neue Interpretation.  Gewöhnlich ist mit der Vorstellung von Erleuchtung die Annahme verbunden, dass sich die Persönlichkeit dadurch tiefgreifend und nachhaltig verändert. Das Werk von Lore Bert enthüllt, sowohl im Titel als auch in der Installation, den Denkprozess, dem sich der Betrachter hingibt, es erleuchtet den Moment der Wahrnehmung und Erkenntnis, das unser Bild von der Welt formt und beeinflusst. Begleitet wird die Installation von Kunstwerken der Künstlerin, die alle dem Papier gewidmet sind. Durch diese Papierarbeiten wurde Lore Bert bekannt. Ihre Papierbilder, die oft dreidimensional von der Wand in den Raum dringen, sind ein  sinnliches  Angebot an die Kunstfreunde, die nach Venedig reisen.

Lore Bert verwendet nur äußerst hochwertige Papiere, die sie aus der ganzen Welt mitgebracht hat, Reispapier aus China, Papyrus aus  Kairo. Wenn ihr das nicht genügt oder zum gedachten Werk nicht passt, dann schöpft sie ihre Papiere selbst. Aus Papier ist auch das beeindruckende Triptychon zu Immanuel Kant und seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“. Das Papierbild ist mit einem Zitat aus dem Kantschen Werk versehen und stammt aus dem Jahre 1998 , als Lore Bert zum ersten Mal in Seoul eine Einzelausstellung unter dem Titel „Idea-Phenomenon-Perception“ hatte. Auch nach so langer Zeit hat das Werk nicht an Bedeutung verloren, da die philosophische Betrachtung die Aussage der zentralen Installation stützt. Dass Lore Bert immer wieder mit Licht arbeitet, hat sie in zahlreichen Ausstellungen bewiesen. 2018 hat sie ein dreidimensionales Werk geschaffen, das schon durch den Titel die pralle „Sonne“ in das Herz dringen lässt. Das geometrisch geschaffene Werk, das aus tausenden gefärbten und gekruschelten Papieren entstand, hat in der Mitte  ein kreisrundes Feld aus reinem Blattgold. Eine beachtenswerte Ergänzung zur Installation. 

Mit „Bunte Vierpässe in Schwarz“ (2016) und „Kreis im Quadrat“ ehrt Lore Bert ihre zweite Heimat: Venedig. Diese beiden Werke drücken die Verehrung der Künstlerin für die Architektur Venedigs aus, ebenso ihre Liebe zu geometrischen Formen, wie sie  in den Marmorböden von Kirchen zu finden sind. Lore Bert, die mit weiteren Arbeiten in Venedig noch in „La Galeria“ der Galeristin Dorothea van der Koelen gezeigt wird, schaut auf ein langes und sehr erfolgreiches Dasein als Künstlerin zurück. Die Ehrungen und Preise, die sie immer wieder bekommen hat, sprechen für das Werk der 1936 in Gießen geborenen Künstlerin. Die Ausstellung in Venedig wird von der Van der Koelen Kulturstiftung unterstützt 

 

Die Eröffnung: „Erleuchtung – Wege der Erkenntnis“ findet am 7.Mai 2019, um 16 Uhr in der Kirche San Samuele statt, und um 18 Uhr eröffnet „La Galeria“ , San Marco 2566, mit 10 Künstlern der Galeristin Dorothea van der Koelen unter dem Motto: „was – is – will be“, 40 Jahre Galerie Dorothea van der Koelen.

 

(Abb.:Lore Bert, „Erleuchtung – Wege der Erkenntnis (Heureka) “, Modell, gezeigt auf der Art Karlsruhe 2019)